Von Birgit Manzke
Während in den umliegenden Ländern Tunesien, Libyen und Ägypten das Volk auf die Straße ging, um sich von ihren Despoten zu befreien, scheint der arabische Frühling an dem größten Land Afrikas vorbeizuziehen. Viele werden sich daher die Frage stellen: Woran liegt das? Die Frage ist eigentlich ganz einfach zu beantworten, schaut man sich hierzu erst einmal den geschichtlichen Hintergrund Algeriens an.
Ein paar wichtige Fakten und Daten:
1830 – 1962 Kolonialbesatzung durch Frankreich
1954 – 1962 Befreiungskrieg unter der Führung der Front de Libération National (FLN)
1991 – 1997 Bürgerkrieg
Erst im Jahre 2011 wurde der 1992 verhängte Ausnahmezustand durch Präsident Abdelaziz Bouteflika aufgehoben!
Zunächst weichen im Laufe der vergangenen 50 Jahre die namentlichen Zuordnungen der Staatsoberhäupter Algeriens in der Begriffsbezeichnung von einander ab, woraus sich auch schließen lässt, welches Chaos schon über Jahrzehnte in Algerien herrscht. Hier die Aufzählung der wichtigsten Staatsoberhäupter.
Mohammed Ahmed Ben Bella – Erster Staatspräsident: September 1963 – Juni 1964
Houari Boumedienne – Präsident des Revolutionsrates: Juni 1965 – Dezember 1978
Chadli Bendjedid – Staatspräsident: Februar 1979 – Januar 1992
Mohamed Boudiaf – Vorsitzender des Hohen Staatsrates: Januar 1992 – Juni 1992
Abdelaziz Bouteflika – Staatspräsident: April 1999 – (amtierend)
Seit 1996 ist aufgrund der Verfassung die offizielle Begriffsbezeichnung für Algerien Präsidialrepublik.
Der vom ganzen Volk geliebte Präsident Mohamed Boudiaf wurde bei einer Konferenz vor laufenden Kameras am 29. Juni 1992 hinterhältig ermordet. Der Öffentlichkeit unterbreitete die Regierung die Story eines islamistischen Einzeltäters, der Boudiaf ermordet haben soll, Fakten weisen jedoch daraufhin, dass es sich hierbei keineswegs um einen Einzeltäter mit fundamentalistisch-islamitisch geprägten Hintergrund handelte, sondern um ein brutal geplantes Verbrechen. Nur kurze Zeit vor seiner Ermordung kündigte Präsident Boudiaf an, dass er Köpfe führender korrupter Generälen rollen lassen wolle, sodass sich daraus schließen lässt, die Ursachen für diesen brutalen Mord in ganz anderen Quellen zu suchen.
Nun zu der Frage: Warum der arabische Frühling Algerien nicht erreicht. Gab es zum Beginn der Jasmine Revolution in Tunesien auch in einigen Teilen Algeriens Versuche eine Revolution zu entfachen, so wurden diese Bemühungen vom Ausland quasi kaum wahrgenommen. Das algerische Volk ist müde, ja, man könnte fast sagen, sie haben sich ihrem Schicksal ergeben und in Lethargie zurückgezogen. Zunächst wartete man ab, wie sich die Ergebnisse der Revolutionen in den Nachbarländern entwickeln würden. Zufriedenstellend sind diese Ergebnisse jedoch nicht. Algeriens Bevölkerung erlebt seit Jahrzehnten einen inneren Kampf der Selbstfindung, ihre eigene Identität haben sie bisher nicht gefunden. Wurde durch Frankreich die französische Sprache als Amtssprache eingeführt, hat es Generationen gedauert, bis die arabische Sprache wieder Amtssprache wurde. In der Kabylei hingegen kämpft man immer noch um die Anerkennung der eigenen Sprache (Berber). Das Land ist selbst in den eigenen Strukturen zerrissen. Während sich 70% der Bevölkerung als Araber bezeichnen, so ordnen sich die restlichen 30% Berberstämmen zu. Die Urbevölkerung Algeriens sind und waren – vor der Übernahme durch die Araber im 7. Jahrhundert, Berber! Algerien hatte im Jahr 1990 eine Staatsverschuldung von 0 Prozent und laut Wikipedia auch im Jahre 2012 nur eine geringe Staatsverschuldung zu verzeichnen. Eigentlich ist dies eine gute Grundlage, für künftige Entwicklungen und internationalen Handel. Milliarden Dollar fließen jährlich durch das Erdöl- und Erdgasgeschäft in Algeriens Kassen, nur wo bleibt das Geld? Wirtschaftliches Wachstum ist kaum zu verzeichnen, die Bevölkerung ist arm, hohe Arbeitslosigkeit und Wohnraummangel prägt das Land – überall herrscht Korruption und Vetternwirtschaft. Algeriens namentliche Entwicklung durchläuft seit Beginn des Befeiungskrieges gegen die Franzosen über die eigene Landesbezeichnung von „Sozialistische Volksrepublik Algerien“ bis „Demokratische Volksrepublik Algerien“. Ein blutiger Regierungsputsch, ausgelöst durch Oberst Houari Boumedienne, führte Algerien im Jahre 1965 auf den Pfad der sozialistisch/kommunistischen Staaten. In Algerien sollte fortan der „Islamische Sozialismus“ herrschen. Lässt sich Islam und Sozialismus/Kommunismus tatsächlich miteinander vereinbaren? Wieder und wieder änderte Algerien drastisch die Richtung bis zum Bürgerkrieg 1991. Bei den Parlamentswahlen 1991 zeichnete sich der Wahlsieg der Islamischen Heilsfront (FIS) ab, das Militärregime brach die Wahlen ab. Zahlreiche Todesopfer, Verhaftungen und vermisste Personen waren zu verzeichnen: Geschätzte Zahlen: 120.000 Todesopfer, 50.000 politische Gefangene und mehr als 5000 vermisste Personen. Geheime Folterlager wurden eingerichtet und islamische Führer verschwanden in Kerkern. Erst mit der Machtübernahme durch Präsident Abdelaziz Bouteflika wurde Annäherung an die Islamisten gesucht, die Gesamtsituation in Algerien hat sich dadurch jedoch nicht verändert. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 wurden zwar ausländische Wahlbeobachter zugelassen, jedoch glaubt kaum keiner in Algerien an einen fairen Wahlsieg der regierungsnahen Parteien FLN und RND. Die aus drei gemäßigt islamistischen Parteien bestehende Allianz „Grünes Algerien“ wurde nur drittstärkste Kraft und sprach von Wahlbetrug. Nicht nur die Allianz „Gründes Algerien“ kommt zu dieser Einschätzung, sondern auch der ehemalige algerische Finanzminister Ali Benouari. Ali Benouari gab dem schweizer Fersehsender RTS ein ernüchterndes Interview. Benouri antwortete auf die Frage ob die Wahlen transparent waren: ” Ganz deutlich nein, die Wahlen waren nicht transparent.” (12.05.2012 RTS.ch 19.30 Uhr le journal). Algerien und das Ausland blicken nun gespannt auf die Präsidentschaftswahl 2014. Wird es einen Machtwechsel geben? Wenn ja, wie wird er aussehen? Menschenrechtler und Gewerkschaften kämpfen derzeit – alleingelassen auf weiter Flur – gegen Militär, Polizei und Geheimdienst, sie haben kaum Unterstützung aus der Bevölkerung – der Schock der letzten Jahren ist noch tief in den Köpfen der Menschen verankert. So sehr man sich auch einen Umbruch wünscht, so sehr lähmen die Ereignisse der letzten Jahre. Man beobachtet sehr wohl, welche Ausmaße Widerstand hat. Gewerkschafter und Menschenrechtler werden als Terroristen denunziert und immer wieder unter scheinheiligem Vorwand verhaftet und weggesperrt. Widerstand bewegt sich derzeit noch auf sehr dünnem Eis. Sollte man das Treiben von Regierung, Militär und Geheimdienst seitens des Auslands weiterhin tatenlos dulden, wird es irgendwann in Algerien zu einem ganz großen Knall kommen, davon gehen auch Experten aus.
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